Drei Tage im Regen durch die Hardanger Vidda


Tag 1 - Wenn mein Kopf nicht angewachsen wäre...

Ich kam relativ spät am Ausgangspunkt meiner Wanderung an, weil ich nach fast jedem Tunnel die neue Aussicht genießen und Fotos machen musste. Ich wollte schonmal ein paar Kilometer in die Hardanger Vidda hineinwandern, um dort mein Nachtlager zu errichten. Denn das Wetter sollte in den nächsten Tagen nicht besser, sondern eher schlechter werden.

 

Als ich am frühen Abend am Parkplatz ankam, raffte ich meine Sachen zusammen und startete voller Vorfreude mit einem wahnsinnig schweren Rucksack in mein kleines Abenteuer. Ausgestattet war ich mit einem geräumigen 3-Mann-Zelt, Kochgeschirr, Essen, meiner kleinen Spiegelreflex, Karte, Kompass, GPS-Gerät, Daunenschlafsack, Regenjacke/Regenhose.

 

Nach ein paar Minuten fiel mir auf: Hups, hast du eigentlich deine Zahnbürste eingesteckt? Drei Tage ohne Zahnbürste ist vielleicht ein wenig viel. Also kehrte ich um, suchte die Zahnbürste, schloss das Auto ab, sattelte den Rucksack und bemerkte, dass das Licht am Auto noch brannte: Was für ein Glück, dass ich die Zahnbürste vergessen hatte!!!!! Aber wo war jetzt der Schlüssel? Rucksack wieder ab, Regencover ab, Schlüssel raus, Schlüssel rein, Regencover drüber, Rucksack wieder aufgehieft ohne dabei umzufallen... Oh nein, hab ich eigentlich ein Feuerzeug? Neee. Rucksack wieder ab, Schlüssel raus, Feuerzeug gesucht, Rucksack wieder aufgehieft ohne dabei umzufallen. Loooooos gings.

 

Nach ein paar hundert Metern, stellte ich aus irgendeinen Grund den Rucksack nochmals ab, anscheinend dachte ich etwas vergessen zu haben ;). Ich lief weiter.... Bis mir nach einigen Minuten auffiel, dass meine Wanderstöcke nicht mehr da waren. AAAaaaaaaah!!!! Wie schlecht kanns laufen??? Aber das beste kommt noch: Ich lief mit meinen Wanderstöcken ausgerüstet wieder los, um dann zu bemerken, dass meine Wasserflasche gar nicht im Rucksack steckte.... WTF??? Vielleicht sollte ichs besser bleiben lassen???

NEIN!!

 

Um ca. 18:00 war ich dann endlich startklar. Eine Stunde später erreichte ich auf breiter Schotterstraße die DNT-Hütte Midvassbu. Dort entschied ich mich dem Wegweiseer Vivasdalen zu folgen. Also ging es vom Schotterweg weg, über einen ordentlichen norwegischen Wanderweg den Berg hoch. Ich schwitzte ganz ordentlich, aber die Aussicht über den Fjord und das Gefühl allein in der Natur, fernab von einem Ort allein unterwegs zu sein, entschädigte für alles.

 

Die roten T´s des DNT waren auch weiterhin gut zu erkennen und der kleine Pfad gut ausgetreten. Es war herrlich. Ich kam gut voran, stopppte allerdings hier und da für ein paar Fotos und um mich gegen die Mücken zu wappnen. Wie gut, dass ich an das Autan gedacht hatte! Der Weg führte direkt durch riesige Schwärme dieser Plagegeister. Als würden sie nur darauf warten, dass ein Wanderer des Weges kommt. "Kommt springt auf. Ich habe Blut zu verschenken." Als ich die alten Steinhütten am See hinter mich gelassen hatte, wurde es zum Glück wieder etwas besser. Es ging wieder ein wenig bergauf und ich entschied kurzerhand das Zelt mit fantastischem Panoramablick oberhalb des Sees aufzuschlagen. Ich kochte mir Instantchinanudeln, genoss die Stille und die hereinbrechende Nacht.

Unbeschreiblich. Einfach schön.

 


Tag 2 - Und ich laufe und laufe

Ich erwachte ziemlich früh am Morgen und war um 7:00 bereits fertig für die zweite Etappe. Voller Elan ging es los. Jippie.

Geradezu kam bald ein lauter Wasserfall in Sichtweite und direkt davor, auf dem Weg, saßen drei Schafe. Ein herrlicher Anblick. Einige hundert Meter weiter links vom Weg, im sattgrünen Tal, durchzogen von kleinen Wasseradern, standen weitere Wollknäuel.

Zu meinem "Unglück" musste ich bei dieser kleinen Fotopause feststellen, dass mein Zopfhalter abhanden gekommen war. Mist. Anja ohne Zopfhalter. Essen ohne Haargummi, schwitzen ohne Haargummi - Das geht nicht. Also funktionierte ich den grünen riesigen Buff zu einem Zopfhalter im Ruski-Style um. War ja keiner da, der mich mit einer russischen Schönheit verwechseln konnte... oder doch lieber den Buff als Stirnband benutzen?

Um 8:20 staunte ich nicht schlecht, weil ich die erste Sommerbrücke erreichte. Sie überspannte die Wassermengen, die von dem Wasserfall strömten.

Um 9:00 kam ich an ein Schneefeld das direkt am Weg lag. Schnee. Zum Anfassen. Mitten im August. Fast einen Meter dick und steinhart. Das musste natürlich festgehalten werden... in einem Selbstportrait. Es folgten weitere Fotos von den umliegenden Bergen, dem grünen Moos und den Blümchen. Um 9:30 kam ich dann am See Holmavatnet an und machte eine kleine Essenspause. Das Land war platt und weit, der Weg war eben. Dies versprach ein gutes Vorrankommen... wenn ich doch nicht ständig Fotos machen würde. So nahm ich mir vor mindestens eine Stunde durchzulaufen, ohne meine Kamera zu zücken. Nunja, nichtmal 30 Minuten später hatte es mir ein Wollgrashalm angetan und ich konnte nicht widerstehen, diesen eingebettet in dieser schönen Landschaft festzuhalten. Ja und überhaupt. Wie schön kann die Welt sein? Der Weg, das Moos, die Berge und das Wasser...

Knips, knips.

15 Minuten später mündete der Weg dann in ein Schneefeld. Hmm. Was nun? Was, wenn es nicht hält, ich einbreche und darunter eingequetscht werde und einen bösen Kältetot sterbe? Öhhm, Hirn aus und rüber da! Geschafft! ... und fotografisch festgehalten ;)

So langsam fing ich dann auch an Selbstgespräche zu führen, der See wollte einfach nicht enden. Genau eine Stunde nach meiner letzten Fotopause, dachte ich, ich könnte den See endlich hinter mir lassen. Aber Nein. Er teilte sich nur und machte einen Berg in der Mitte Platz. Nach weiteren endlosen Minuten am See, kam ich zu einem größeren Zufluss, den es zu überqueren galt. Aber woooooo denn nur? Ich schnallte meine Gamaschen um, und guckte mir die Ganze Sache ersteinmal genauestens an. Auf der anderen Seite des Flusses stand ein Mann vor der gleichen Herausforderung. Ich fand eine gute Überquerungsmöglichkeit im oberen Teil des Flusses. Er versuchte sein Glück im unteren Teil. Wir redeten nicht miteinander. Schließlich waren wir in der Wildnis und wollten nicht auf Menschen treffen. Wenn wir sie trafen, dann war es am besten Sie zu ignorieren. Ich war jedenfalls wahnsinnig froh die Wanderstöcke zu haben. Auf wackeligen und rutschigen Steinen mit einem super schweren Rucksack, das ist gar nicht so einfach!

 

Nun ging es ca. eine Stunde über lose Schieferplatten, die anscheinend von den Felsen links am "Weg" abgebrochen waren. Um 13:00 hatte ich es dann endlich geschafft. Die Hütte am kleinen See.... und es fing an zu regnen.

 

Mein Plan war es nun, nicht dem Weg nach Litlos zu folgen, sondern einfach geradeaus weiter am Wasser entlang eine kleine Abkürzung zu nehmen. Aber was, wenn dort noch ein größerer Fluss entlang fließt, oder ich bis zu den Knien im Modder stecken bleibe. Schließlich geht der Weg nicht umsonst dort entlang, wo er entlang geht. Zu meinem Glück kamen am entscheidenden Wegweiser fünf junge norwegische Naturburschen aus der Richtung meiner Abkürzung. Sie bekräftigten mich in meinem Plan, meinten in ihren Tunrschuhen aber, dass es sehr feucht sei und ich gute Schuhe bräuchte. Die hatte ich zum Glück. Also auf in die Abkürzung.

Es war feucht, es war modderig und meine Schuhe wogen zum Teil doppelt bis dreimal so viel. Aber nach einer Stunde kam ich zur große Brücke. Es regnete ziemlich stark. Dennoch versuchte ich schnell ein Foto zu machen, füllte meine Wasserflasche auf und lief weiter. In den nächsten 1,5 Stunden kamen mir sechs oder sieben Leute entgegen. Quasi Autobahn. Einer trug  nur ein provisorisches dünnes Regencape, während seine Hose schon klitschnass war. Der Arme. Aber auch meine Freude hielt sich in Grenzen, denn meine teure Regenhose hielt auch nicht was sie versprach und ließ ein wenig Wasser am seitlichen Reißverschluss hinein. In all dem Regen verlor ich dann plötzlich die Wegmarkierung aus den Augen, musste über diverse Bäche staksen und letztlich einen schönen Berg hinauf, mit ganz viel Geröll, in dem ich bei jedem Schritt tief versackte.

 

Aber dann war ich oooooooooooben! Ich war nun auf einer richtigen Hochebene... und wieder unheimlich glücklich. In dieser Fels-, Schnee-, und Seenwelt musste man allerdings aufmerksam sein und ein wenig genauer schauen auf welcher Seite vom Schnee der nächste Steinmann den Weg markierte. Die Schneefelder aus Sicherheitsaspekten zu umgehen machte die Sache auch nicht unbedingt einfacher. Um 17:00, also nach zehn Stunden auf den Beinen, ging es wieder ein wenig abwärts. Dabei begleitete mich das charakteristische Zirpen eines Vogels, der hier in Wassernähe zuhause zu sein schien. Eine Stunde später, fand ich mich in brüchigem, viereckigen, rötlich-grauem Gestein wieder. Es ging nach oben und die Suche nach dem Steinmann gestaltete sich hier besonders schwierig. Ich kletterte erst links hoch, sah dann aber rechts eine Markierung. Ich wechselte die Seite, fand aber keinen weiteren Steinmann. Das ganze war ziemlich unangenehm. Grau, nass, steil, orientierungslos. Ich kletterte wieder zur anderen Seite und fand letztlich den Weg. Zur Belohnung kam ich wenig später auf einen ganz tollen Abschnitt mit noch tollerer Aussicht. Herrlich, herrlich. Saftig grünes Moss mit rötlichen Farbtupfern, dunkle Bergspitzen mit weißen Schneefeldern und ein kleiner See. Zwei Wanderer stellten hier gerade ihr Zelt auf. Wahrlich ein schöner Platz. Aber ich musste weiter. Auch wenn meine Füße langsam schmerzten.. So weit konnte es doch nicht mehr sein!?

 

Um 19:00 war es endlich soweit: Hellevasbu! In Sicht! Da hinten, da ganz weit unten! Juhuuuu! Das musste festgehalten werden! Erleichterung pur... und Zack, lag ich auf dem Boden. Zum Glück landete ich auf weichem Moos, denn meine Kamera zu schützen hatte Priorität vor meiner leiblichen Unversehrtheit. Danach ging es abwärts, abwärts, abwärts.... Es dauerte eine halbe Ewigkeit und meine Knie wurden immer weicher.

Als ich am Abzweit zu Midvassbu ankam, entschied ich mich sogar noch weiter zu laufen, damit die vielen Menschen, die vor der Hellevassbu-Hütte rumsprangen nicht meine Idylle störten. Das war mir nix mit diesen Menschen. Also weiter gings, bis ich ein halbwegs geschütztes und ebenerdiges Plätzchen gefunden hatte. Es war ziemlich windig und bis ich das Zelt im Regen endlich aufgestellt hatte verging noch eine Weile. ICh kroch hinein, kochte im Vorzelt eine Dose SENFEIER! Was mich da geritten hat??? Ich weiß es nicht, es war so ekelhalft, ohne einen Funken Gewürze. SENFEIER AUS DER DOSE. Auweiauwei. Wie ekelhaft. Aber es war warm und das tat gut. Direkt danach schloss ich meine Äuglein und fiel in einen tiefen Schlaf.



Tag 3 - Nebel

Als ich heute aus dem Zelt kroch und meinen Rucksack aufschnallte, war ich alles andere als entzückt. Meine Knie schmerzten, meine Hüftknochen waren wund und ein dichter Nebel lag über dem Land.

Trotz der guten norwegischen Wegmarkierung, verlor ich mehrmals fast die Orientierung. Einen breiten Fluss galt es zu überqueren und einen mit viel Schnee bedeckten Berg zu überwinden. Hier war der Nebel so dicht, dass ich absolut nicht wusste in welche Richtung ich gehen sollte. Aus welcher Richtung ich gekommen war, wusste ich auch irgendwann nicht mehr. Das war kein schönes Gefühl. Allein im Nebel. Kein Mensch weit und breit.

Ich fand den Weg nach langer Suche und genoss dieses Abenteuergefühl. Dieses Gefühl es geschafft zu haben, auf dem richtigen Weg zu sein.  Von dort an humpelte ich die meiste Zeit des Tages abwärts. Ich kam mir vor wie eine alte Oma. Meine Essensvorräte waren zwar weniger geworden und der Rucksack damit leichter. Dennoch war es einfach viel zu schwer für eine einzelne Frau. Warum mache ich das eigentlich immer? Ich konnte diesen Tag kaum noch genießen, ich machte kein einziges Foto und wollte nur noch am Auto ankommen und mich ins Bett schmeißen.

Einige Stunden bevor ich am Ziel war und von einem Stein zum anderen humpelte, hörte ich von Hinten Geräusche... Trailrunner rannten mit ihren Turnschuhen durch den Matsch und waren innerhalb von Sekunden schon wieder verschwunden Hallo???? Auf einmal kam ich mir vor, als würde ich rückwärts gehen, so langsam war ich..

Aber ich schaffte es!

 

Drei Tage bei miesestem Wetter allein durch die Hardanger Vidda - OOOOhhh Yeah.

 


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